Squirrel Stew
Hokkaidogeschnetzeltes für acht Eichhörnchen
Dichter Nebel wallte über den Pfad aus morschen Holzbohlen, der zwischen den schwarzen, verkrüppelten Bäumen hindurchführte. Dumpf war das schmatzende Geräusch der Schritte zu hören, und von den Sumpflöchern rechts und links des Weges war nur ein dunkles Gurgeln zu vernehmen. Fahl schien das Mondlicht zwischen dunklen Wolken hindurch auf einige verdrehte Wurzeln, die wie ausgedörrte Finger den Nebel durchbohrten. Wurzeln?
Schweigend, die Kapuzen weit über das Gesicht gezogen, näherten sich fünf dunklen Gestalten der windschiefen Hütte, bei der der Pfad endet. Dahinter, so wußten sie, gab es nur noch das Moor - ein einziges, stummes Grab.
Die Hexe Esmeralda war gerade beim Häkeln, als es zum siebenundzwanzigsten Mal an diesem Abend an der Tür klopfte. Genervt steckte sie das Häkelzeug unter ihre karierte Wolldecke. Keiner sollte wissen, daß sie so stereotypisch weiblichen Tätigkeiten wie Handarbeit nachging. Mit einem grimmigen Blick öffnete sie die knarrende Tür.
Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte sie die fünf winzigen, in Kapuzenmäntel gehüllten Gestalten mit ihren Pappmaché-Sensen auf der Türschwelle.
„Süßes oder Saures!“, quiekte es ihr von ihren Füßen entgegen.
„Und wer will das wissen?“, fragte Esmeralda mit zynischem, leicht höhnischem Tonfall. Dies war mit Abstand das kurioseste Überfallkommando, das sie an diesem Abend heimsuchte.
„Äh?“ sagte der Wortführer, erkennbar verunsichert. „Süßes oder Saures!“
„Na, dann werde ich euch Saures geben.“
Die Gestalten steckten die Köpfe zusammen und tuschelten leise. Todesmutig aber mit leicht zitternder Stimme wandte sich der Anführer wieder an Esmeralda: „Entschuldigung, Madam, aber wenn wir ’Süßes oder Saures’ sagen, dann müssen sie uns Süßigkeiten geben, oder etwas sehr Schlimmes passiert.“
„Gut. Wie schlimm hättet ihr es denn gerne?“ antwortete Esmeralda und kramte dabei demonstrativ in ihrer Schürzentasche.
„Ich könnte euch in Nüsse verwandeln. Oder ich zwinge euch kandierte Froschaugen zu essen. Oder vielleicht fange ich euch alle ein und koche mir ein leckeres SQUIRREL STEW!“
Dabei kostete sie die letzten Worte düster aus. Noch ehe sie zuende gesprochen hatte, suchten die finsteren Gestalten ihr Heil in der Flucht. Dabei fiel das fahle Mondlicht für eine Sekunde auf ihre buschigen Schwänze, bevor sie in der Dunkelheit verschwanden.
„Eichhörnchenkinder,“ dachte sich Esmeralda kopfschüttelnd und schloß still die Tür.
Da die Nacht noch jung war, und Esmeralda nicht auf das achtundzwanzigste Klopfen warten wollte, schlang sie sich ihre Stola um, schnappte sich den Besen und ritt eiligst zum kleinen Komolzen™ in den Wald. Der, so war sie sicher, würde auch an Halloween etwas Positives finden.
„Verdammt. Es ist jedes Jahr dasselbe. Kleine Kinder auf der Suche nach okkulten Erstkontakten rauben einem die Ruhe, schmieren die Türklinken mit Froschlaich voll, verkleiden sich als Möchtegern-Quasimodos und bilden sich ein, mir drohen zu können. MIR!“
„Setz dich. Nimm dir einen Keks.“
„Nein, aber im Ernst: Erst die Dichterplage und dann die Kürbisfreaks. Der Herbst geht mir gewaltig auf die Nerven!“
„Hast Du schon gegessen?“
„Du hörst mir gar nicht zu. Ich leide!“
„Ja. Was hältst Du von Kürbis?“
„Ich HASSE Kürbis!“
„Gut. Ich habe nämlich heute ein paar von den Dingern auf dem Markt gekauft.“
Während Esmeralda sich resigniert in den selbstschaukelnden Schaukelstuhl fallen ließ, kramte der kleine Komolze™ die Zutaten für das Abendessen hervor:
2 Hokkaido-Kürbisse (insgesamt ca. 2,5 kg)
1,2 kg Puten- oder Hühnchenbrust
2 rote Paprika
2 grüne Paprika
2 große Zwiebeln
1 Becher Schmand
1 Bund Schnittlauch
Olivenöl
Currypulver
Pfeffer, Salz
Baguette
Die Kürbisse viertelte er, kratzte mit einem Löffel die Kerne heraus und schnitt anschließend das Kürbisfleisch samt Schale in kleine Würfel. Das Fleisch und die Paprika schnitt er in Streifen und die Zwiebel in halbe Ringe. Sodann erhitzte er das Öl in einem großen Topf, gab nacheinander die Zwiebeln, das Fleisch und dann das restliche Gemüse hinein und briet alles an. Als nächstes rührte er den Schmand unter, würzte mit reichlich Currypulver und ließ dann alles ca. 8 Minuten auf kleiner Flamme köcheln. Dann schmeckte er mit Salz und Pfeffer ab, streute den gehackten Schnittlauch über das Ganze und servierte Esmeralda das leckere Essen mit frischem Baguettebrot.
Esmeralda war versöhnt. Nicht jeder Kürbis ist eine häßliche Fratze, dachte sie, ein Rülpsen unterdrückend. Der Abend hatte doch noch eine gute Wendung genommen. Gemächlich stopfte sie sich ihre Pfeife und streckte die Beine aus. Vergessen waren Halloween, Eichhörnchen und billige Verkleidungen.
Da klopfte es an der Tür.