Zauberwald Verlag

Bulgarische Klostersuppe

(FÜR ACHT BRÜDER UND SCHWESTERN)

Es ist noch gar nicht so lange her, da bekam der kleine Komolze™ einen Brief. Es war nicht irgendein Brief mit Anschrift, Absender, Briefmarke und Stempel. Nein. Es war ein außerordentlicher Brief. Außerordentlich abgegriffen, außerordentlich außergewöhnlich und unglaublich weit herumgekommen. Die Summe der Nachsendeadressen, die wild übereinandergekritzelt, korrigiert, wieder durchgestrichen und neugeschrieben worden waren, ließen auf den ersten Blick erkennen, daß dieser dreckige, fettbefleckte Umschlag in den letzten Jahren durch die ganze bekannte Welt gereist war. Der Absender war kaum noch zu entziffern, und auch die Briefmarken, die nurmehr farbige Flecken waren, gaben keine Auskunft darüber, auf welchem Postamt sie zum ersten Mal gestempelt worden waren. Nach angestrengtem studieren der konfusen Schriftzüge wurde dem kleinen Komolzen™ schließlich klar, warum es mit der Zustellung so lange gedauert hatte. Die ursprüngliche Adresse lautete:

kyril1

Damit hatte die zuständige Brieftaube offensichtlich erhebliche Probleme gehabt, weshalb der Umschlag mit dem Stempel - UNBEKANNT VERZOGEN - ZURÜCK AN DEN ABSENDER - versehen worden war. Der Absender aber lautete:

kyril2

So schien die Irrfahrt des Briefes ihren Anfang genommen zu haben. Den grünlich-speckigen Flecken nach zu urteilen, die das Pergament bedeckten, war er in der Folgezeit durch die Hände verschiedener Schriftkundiger, Gelehrter, Wahrsager und Hexen gewandert, wobei vermutlich letztere ihn in bewußtseinserweiternde Lösungen getaucht und in ekligen Kräutersuden aufgekocht hatten. Offenbar ohne Erfolg. Was weiter geschehen war, konnte der kleine Komolze™ weder ersehen, noch erahnen. Denn anschließend war der Brief einfach an ein Postamt weitergeleitet worden, das so weit entfernt lag, daß man mit gutem Gewissen davon ausgehen konnte, dort würde man die exotischen Schriftzeichen entziffern können. Das war natürlich nicht der Fall, aber man befolgte auch dort die Dienstvorschriften für derartige Fälle: Schriftkundige, Gelehrte, Wahrsager, am Ende einmal gründlich durchkochen und schließlich an ein weit entferntes Postamt weiterleiten ... Dieser Vorgang hatte sich solange wiederholt, bis der Umschlag so verkrustet und brüchig geworden war, daß er ein weiteres Aufkochen nicht überstanden hätte. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade über den Dienstpostweg im Hauptpostamt Frostberge Mitte eingetrudelt, zu dessen Zuständigkeitsbereich auch das Gebiet Zauberwald Nord gehört. Der Brief landete in der untersten Schublade und geriet bald in bequeme Vergessenheit.

Die Zeit verging. Einzig die Spinne Thekla, die im Schutze des bröckelnden Pergamentes ihre Kindheit und Jugend erlebt, ihren Mann kennengelernt und Generationen von Nachkommen großgezogen hatte, schenkte ihm noch Beachtung. Eines Tages jedoch wurde die Schublade unvermutet geöffnet. Der Waldzyklop Detlev der Einäugige hatte gerade aus Langeweile eine Stelle als Hilfspostbote angetreten, und die erfahrenen Beamten trieben in seiner ersten Woche gehörigen Schabernack mit ihm. Zuerst hatten sie ihn auf die Suche nach Stempelfett geschickt und mit gröhlendem Gelächter zugesehen, wie er sich geduldig von hier nach dort verweisen ließ. Mit solchen Späßen amüsierten sie sich, bis einer unter ihnen sich in einem Anfall von Bösartigkeit an den problematischen Brief erinnerte. Alle waren sofort von seiner Idee angetan: Detlev sollte lernen, wie man einen Brief zustellt...

DetlevLeider wurde nichts aus dem Spaß. Detlev nahm den Brief und steckte ihn ohne eine Miene zu verziehen in seine neue Posttasche. Dann machte er sich auf den Weg in den Wald. Daß die wirren Zeichen keinen Sinn ergaben, war für ihn nichts ungewöhnliches, da er sowieso nicht lesen konnte. Detlev hatte seine eigene Methode. Er überlegte sich, wem er gerne eine Freude machen würde, und da ihm beim besten Willen nur der Zwerg mit dem großen Hut in den Sinn kam, ging er schnurstracks zur Hütte des kleinen Komolzen™. Dort schob er, als keiner auf sein Klopfen hin öffnete, den Umschlag unter der Tür durch, setzte sich in den Vorgarten und verspeiste seine Posttasche.

Der kleine Komolze™ öffnete den Umschlag vorsichtig und ehrfurchtsvoll. Das Papier zerfiel unter seinen Händen fast zu Staub, aber der Brief im Innern war noch recht gut erhalten. Er war von einem entfernten Vetter geschrieben, der als Mönch in einem Kloster gelebt hatte und vor einigen Jahren verstorben war. Der kleine Komolze™ begann zu lesen.

"Ljeber Vettar, jich habbe won dejn Kochkunst hören getan. Gutte Supp is, was unsre Koch immer breitet. Machest Du wie folgt:

Njimm 3 grossze Bükschen weissze Bohnen
3 grossze Bükschen schwarze Bohnen (gehen auch Kidney-Bohnen)
8 Mohrübskaja
4 grüne Pjaprika
10 Tomatschis
8 Zwijebln
Basiliskum, Petrasilo, Pfjefrminzka, Pjaprika-Pulvret, Salts,
und Pfjeffret
Olium oder Mjargarintscha zum Schmoren

Fejn hacke kleijn Zwjebln, Pjaprika und Mohrübskaja. All dies tu in eine Topfka dann und bej lejchter Hitz schmore es ein Weijl bis Rübska werden weijchlich. Nun öffne die Bohnenbükschen und gjebe ganzen Inhalt derer zum Topfka. Matsche klejn die Tomatschis und auch dazu tu. Wirze mit den Krautern, die Pjaprika-Pulvret, die Salts und die Pfjeffret. Koche der Gantzen nun fünfer Minutris und ferrtig ist Klostersuppen.

Wir das essen jedden Tag und es schenkt langes Leben, weijl ist ohne Fleischsch.

Gutte Grüssze
Dejn Vettar Kartofi"

Neugierig und voller Vorfreude bereitete der kleine Komolze™ noch am selben Abend die gepriesene Suppe. Glücklich kauend gedachte er seines verstorbenen Vetters und dessen kulinarischen Nachlasses. "Ein Glück nur", dachte der kleine Komolze™, "daß der Brief nie bei den Zwergen Mirdochegal im Ablagekorb für unbezahlte Rechnungen gelandet ist - von dort wäre er bestimmt nicht wieder aufgetaucht."