Gehackter Puschkin mit Reis
für acht inspirierte Dichter
Im Frühling fliegen die Pollen. Sie kitzeln in der Nase und lassen die Augen tränen.
Im Sommer kommen dann die Mücken, geschaffen, um auf die Nerven zu gehen. Ihr permanentes Summen treibt einen in den Wahnsinn und als Andenken hinterlassen sie dicke juckende Beulen.
Und im Herbst, da kommen die Dichter.
Jede Zeit hat ihre Plage.
Die Schönheit und Wildheit des Zauberwaldes war wie geschaffen für Hobby-Lyriker, Post-Romantiker und Neo-Sprachdadaisten. Wie ein Heuschreckenschwarm fielen sie über den Zauberwald her. Sie standen an den Teichen, saßen in den Bäumen und ließen ihr Butterbrotpapier achtlos in der Gegend zurück. In jeder Grotte und an jedem Wasserfall, bei jedem Rosenbusch und jeder Trauerweide hockte ein Dichter und litt im Stillen vor sich hin. Groß war die Schar, die sich versammelte, um den Vollmond und die Sonnenuntergänge zu bestaunen, die goldene Farbe des Laubes und den Duft des Regens.
Der kleine Komolze™ rülpste zufrieden. Er hatte gerade ein ausgiebiges Frühstück bewältigt und fühlte sich bereit für den Tag. Als er vor die Tür trat, saß ein Mann in seinem Kräuterbeet und sprach mit seinem Kapernstrauch. Dabei trampelte er auf dem Thymian herum und sagte seufzend:
"Weh mir, mein Herz ist mir so schwer geworden,
Da hab ich alle Schönheit, alle Grazie nun erfahren,
Hab meine Kunst ihr dargebracht in all den Jahren,
und dennoch, ach, ist jede Freud’ daran mir nun verdorben! - Nein, schlecht. Vielleicht: und dennoch, ach,
würd ich am liebsten mich ermorden? - Nein, nein..."
"Das erledige ich gleich für dich, wenn du nicht augenblicklich von meinem Thymian runterkommst!", wetterte der kleine Komolze™. "Herbst!" fluchte er und zog sich seinen Mantel enger. Die Dichter-Plage wurde immer schlimmer und war - wie in jedem Herbst - das beherrschende Thema unter den Zauberwald-Bewohnern.
"‘Ne Muse! Kannst du dir das vorstellen? Ich soll eine Muse sein, ha!" schimpfte die Hexe Esmeralda bei Gelegenheit. Die Feen und Elfen hielten sich im Verborgenen auf, um die Dichter nicht zu desillusionieren, der Waldzyklop Detlev gab jede Menge Autogramme ohne wirklich zu verstehen, worum es eigentlich ging, und die geschwätzige Osterglocke Irma war über beide Ohren in einen jungen Rilke-Nachahmer verliebt, der ihr eine Ode gewidmet hatte. Und selbst Patomomo der Mächtige mußte eigenhändig ein paar Dichter aus seiner Mistel-Eiche schütteln. Kurz: der Zustand war chaotisch.
Nach dem Zwischenfall im Kräuterbeet wußte der kleine Komolze™, daß es so nicht weitergehen konnte. Er beschloß, aus der Not eine Tugend zu machen und eröffnete einige Tage darauf ein Literaten-Café. Den Höhepunkt der Speisekarte bildete eine eigens für die Dichter kreierte Speise, der "gehackte Puschkin mit Reis". Für die Zubereitung besorgte der kleine Komolze™:
1 kg gemischtes Hack
2 Stangen Porree
3 Dosen Tomatenmark à 140 g
4 Zwiebeln
½ l saure Sahne
½ l Brühe
etwas Butter und Öl zu gleichen Teilen
Salz, Paprikapulver
2 EL Senf
1 kg Reis
Zuerst hackte der kleine Komolze™ die Zwiebeln und bräunte sie mit Butter und Öl in seinem Kupferkessel. Dann gab er das Hack dazu und briet es an. Als nächstes kam der geputzte und in Ringe geschnittene Porree in den Topf. Als dieser glasig war mischte der kleine Komolze™ das Tomatenmark, die Brühe und den Senf hinein, schmeckte mit Salz und Paprikapulver ab und ließ das ganze unter häufigem Umrühren 15 Minuten dünsten. Schließlich nahm er den Topf vom Feuer und rührte vorsichtig die saure Sahne unter. Die fertige Sauce servierte er den hungrigen Dichtern zusammen mit Reis, den er parallel zubereitet hatte.
Das Geschäft lief gut. Unerwartet gut. Denn es stellte sich bald heraus, daß den gesättigten Dichtern die nötige Inspiration versagt blieb. Sie waren ihrer Melancholie beraubt, legten sie sich zufrieden unter die Bäume und schliefen friedlich in der Herbstsonne. Und während es im Wald wieder still wurde, ließen seine Bewohner den kleinen Komolzen™ für seine Tat hochleben. Nur ein alter, fast erblindeter Waschbär namens Caesar, der viele Sommer und viele Winter hatte kommen und gehen sehen, begegnete der Euphorie mit würdiger Skepsis und erhob warnend seine Stimme: "Hütet euch vor den Iden des Winters!"